Mittwoch, 2. April 2014

Ist mein Kind normal?

Diese Frage habe ich mir oft gestellt und erwische mich selbst jetzt, nach 4 Jahren, manchmal dabei mir sie wieder zu stellen.

Es fing schon an bei der Geburt: Kaiserschnitt, 54 cm, ca. 3.500 Gramm. Geburt nicht normal, zu groß, zu schwer. Wurde nicht gestillt. Auch nicht normal. Dann ging es weiter in der Entwicklung: "Waaas?! Er ist 3 Monate und kann sich noch nicht drehen?", "Bitte?! Er ist 6 Monate und kann nicht sitzen?! NICHT normal!". 
So zieht es sich durch wie ein roter Faden. 
Das erste Jahr habe ich dieses "Spiel" noch mitgemacht, war besorgt, habe gelesen, recherchiert was mein Kind können muss, ob das normal ist oder nicht, saß so oft heulend aus purer Überforderung zu Hause, weil ich mithalten wollte mit den "normalen" Kindern. 

Als Leo in die Krippe ging hörte das alles schlagartig auf. Mir wurde versichert, mein Kind sei völlig normal, gesund, glücklich und zufrieden, ich würde alles richtig machen. Auch die Dame, die damals beim Kinderarzt die U's machte versicherte mir, dass alles normal sei. Es ging runter wie Öl! Ich war erleichtert, entspannt, kam zur Ruhe, war zufrieden. 

Dennoch hatte und habe ich Zweifel. Bei der U-Untersuchung letztes Jahr war plötzlich eine neue Ärztin da. Alles lief anders als sonst, sie beobachtete mein Kind anders, sah nur Momentaufnahme und da war es wieder: Das Gefühl der Angst, dass irgendwas nicht normal sei, dass irgendwas nicht so ist, wie es sein soll. Tatsächlich hatte sie etwas gefunden: Die Schultern meines Sohnes neigen leicht nach vorn, liegt in der Familie. Mir wurde allerdings dann erklärt, das hätte damit nichts zu tun, mein Kind würde nie draussen spielen und vor allem nicht klettern. Als ich versuchte zu erläutern, dass das gar nicht stimmen kann, da braucht sie sich ja nur seine Schienbeine anschauen, wurde ich unterbrochen. Sie könnte das schließlich als Ärztin sehen, ich könne ja viel erzählen. Peng! Das saß! Ich hatte damals keine Lust zu diskutieren, ich wollte nur raus. Ich habe mir die restliche Streiterei gespart und nichts mehr dazu gesagt. Natürlich war ich sauer und verletzt. Vor allem kam ich mir vor wie ein kleines Kind, dass nichts zu melden hat, dabei ging es da gerade um MEIN Kind. 

Die U-Untersuchung dieses Jahr war noch schlimmer. Ich hatte Angst davor, ja Panik. Mir war vorher schon schlecht, weil ich nicht wusste, was genau auf uns zukommt und wie mein Sohn darauf reagieren wird. Ich wäre gern zu einem anderen Arzt gegangen, aber die Auswahl hier vor Ort ist leider nicht groß und die Wartelisten leider sehr lang. 
Also dachte ich, gut, es ist nur eine U. Was kann da groß passieren, er hat ja nichts, er ist ja normal entwickelt. 

Da waren wir also zum ersten Teil der U8. Leo wollte lieber im Wartezimmer spielen anstatt seine Jacke auszuziehen, also ging er in voller Montur mit mir mit ins Sprechzimmer. Fand die Dame schon nicht toll. Auch, dass er unbedingt an meine Hand wollte, fand sie nicht gut, konnte man am Gesichtsausdruck erkennen. 
Er sollte sich ohne große Begrüßung oder Kennenlernen auf einen Stuhl setzen an ihrem Schreibtisch. Wollte er nicht, er wollte auf meinen Schoß. Dann legte sie ihm stumpf einen Zettel mit Stift hin mit den Worten "Mal mal einen Kreis!" Jeder kann sich denken, dass er das natürlich nicht gemacht hat. Er wollte weg. Das wiederholte er auch ständig und ich konnte das durchaus verstehen. Sie konnte das nicht verstehen und wurde ungeduldig. Sie hätte keine Zeit für so etwas, da würden noch andere Kinder warten. 
Den Hörtest hat Leo mit ach und krach gemeistert, genau wie den Sehtest. Balancieren wollte er nicht mehr und so unliebevoll wie er behandelt wurde und alles aufgebaut war konnte ich auch das verstehen. Ich hätte das alles auch nicht gemacht unter diesen Bedingungen, zumal für diese U8 nur 30 Minuten eingeplant wurden, was ich persönlich sehr wenig finde, da Seh- und Hörtest schon viel Zeit in Anspruch nehmen.
Ich hatte ihn mit allen Mitteln versucht zu locken, dass er mitmacht. Ich wollte auch diesmal wieder erläutern, dass er das alles kann, dass ich das weiss, aber mir wurde nicht zugehört. Kann ja jeder sagen. Jede Mutter sagt, dass ihr Kind alles kann war die Antwort darauf. Ja, das stimmt auch irgendwie, trotzdem möchte ich angehört werden. Es ist doch MEIN Kind und wenn es nicht für sich sprechen will und mich flehend anguckt, dann MUSS ich das doch tun.

Unsere Unterlagen wurden einbehalten. Ich habe mir dabei erst nichts gedacht, ich wollte nur nach Hause. Ich habe mein Kind selten so erlebt, das war wirklich mal nicht normal, so still, in sich gekehrt, verunsichert, ängstlich. Ich war nass geschwitzt und total durch, genau wie er. 

Als wir zu Hause waren und mein Mann mich fragte wie es war, fing ich an zu heulen, weil die ganze Anspannung abfiel. Als ich erzählte, dass sie unsere Unterlagen einbehalten hatten, kam die Panik. Das würde ein Nachspiel geben, denn eigentlich dürfen sie das doch nicht? Wir waren uns nicht mehr sicher. Wir waren mit nichts mehr sicher.

Unser Sohn ist 4. Schon 4, aber irgendwie auch erst 4. Es wird plötzlich so viel von ihm erwartet, ich frage mich ob es richtig ist, so viel von einem 4 jährigen zu erwarten. Kinder mit 4 sollen nicht mehr fremdeln wurde mir erklärt. Er fremdelt nicht, er ist schüchtern und braucht manchmal eine gewissen Zeit um "aufzutauen". Ist das so schlimm? Müssen alle Kinder zu dieser U kommen oder in einen Raum und ALLE mögen und sofort rumspringen. Es gibt Kinder, die das tun, finde ich toll. Meiner tut es nicht und das ist genau so in Ordnung.

Ich habe nach dieser U die ganze Nacht wach gelegen und mich wieder gefragt: Ist Leo normal? Haben wir alles richtig gemacht? Warum war dieser Arztbesuch so? Was hätte ich anders machen können? Er ist doch sonst so ein glückliches Kerlchen....

Am nächsten morgen habe ich mir unsere Unterlagen geholt. Das Gespräch in der Arztpraxis war nicht schön. Mir wurde sehr viel vorgeworfen, was definitiv nicht stimmt. Ich werde das hier nicht ausführen, aber es war schon ein sehr heftiger Umgangston, der dort herrschte. 

Wir haben den Arzt gewechselt, die U8 wurde wiederholt. Mein Sohn ist völlig normal und bestens entwickelt. 

Ich verstehe den Sinn hintern den U's und ich finde es gut und wichtig, dass es sie gibt. Die Umsetzung hapert nur leider bei vielen Ärzten und der Druck, der auf einem lastet ist verdammt groß. Es würde mich und auch ganz bestimmt viele andere freuen, wenn man ihn vermeiden könnte. 

Ein Schritt in die Richtung wäre auch, wenn Mütter sich nicht gegenseitig total bekloppt machen würden, was ihr Kind alles kann und das andere nicht. 
Wann ein Kind krabbelt, wenn überhaupt, läuft, spricht, hüpft, malt, etc. ist doch egal solange es gesund und glücklich ist.  

Mein Sohn ist zum Beispiel ein kleiner Eigenbrötler. Er hat seine zwei Freunde mit denen er gerne mal nachmittags spielt, aber neue Kinder einladen? Nein. Auch nicht, die die er kennt aus dem Kindergarten. Er möchte das nicht. Schlimm? Nein. Normal? Für ihn ja. Für andere unverständlich. So ist er aber, und er ist gut so, denn er kann seinen Willen klar formulieren und wir belassen es dabei. Wenn das ein Kind nicht stärkt, dann weiß ich auch nicht...

Und was ist denn schon normal? Sind wir normal? Müssen wir normal sein? Wer schreibt uns das vor? Warum also so einen Zwang bei Kindern herbeiführen. Kind sein ist die schönste Zeit des Lebens. Sie sollten es geniessen.



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